Vorschäden und Schadensregulierung nach einem Verkehrsunfall

Vorschäden und Schadensregulierung nach einem Verkehrsunfall

Nach einem Verkehrsunfall, bei dem der Geschädigte ein Gutachten vorlegt, können Schwierigkeiten auftreten, wenn das Fahrzeug bereits einen Vorschaden aufweist. In solchen Fällen verweigert die Haftpflichtversicherung des Schädigers manchmal die Bezahlung mit der Begründung, dass der aktuelle Schaden nicht vom Vorschaden abgegrenzt werden kann. In diesem Artikel erläutert Ihnen Rechtsanwalt Faidh Marioush, welche Voraussetzungen für eine erfolgreiche Abwicklung eines Unfallschadens gelten, wenn das Fahrzeug bereits einen Schaden hatte. Der Artikel betont, dass die Durchsetzung berechtigter Ansprüche ohne anwaltliche Hilfe oft schwierig ist.

 

1. Definition: Verkehrsunfall mit Vorschaden

Ein Vorschaden ist eine reparierte Beschädigung am Fahrzeug, die nicht zwangsläufig durch einen Unfall verursacht wurde. Ein Unfall ist im Allgemeinen ein plötzliches und unerwartetes Ereignis von außen, das zu einem Schaden führt. Selbst verursachte Schäden, wie der Kontakt mit einer Mauer oder einem Poller, fallen ebenfalls unter diese Definition. Die Abgrenzung zwischen einem Vorschaden und anderen Beschädigungen ist entscheidend. Dazu gehören reine Gebrauchsspuren, die durch den normalen Gebrauch des Fahrzeugs entstehen und für das Alter, die Laufleistung und den Vorbesitzer des Fahrzeugs üblich sind. Auch Altschäden, die nicht oder nur teilweise repariert wurden und über normale Gebrauchsspuren hinausgehen, sind relevant. Diese Abgrenzung erfordert oft die Expertise eines Gutachters.

2. HIS-Dateisystem und Vorschaden in Schadengutachten

Wenn ein Vorschaden im Schadengutachten vermerkt ist oder die gegnerische Haftpflichtversicherung durch das HIS-Dateisystem Kenntnis von einem Vorschaden erlangt hat, fordert der Versicherer in der Regel Nachweise über eine sachgemäße Reparatur des Vorschadens. Dies kann problematisch sein, insbesondere wenn Sie keine Reparaturnachweise aufbewahrt haben, es möglicherweise keine Dokumentation zur Reparatur des Vorschadens gibt oder wenn Sie als Dritt- oder Viertbesitzer keine Kenntnis vom Vorschaden hatten. In solchen Situationen weisen die Versicherer Schadenersatzansprüche oft mit der Begründung ab, dass Sie die sachgemäße Reparatur des Vorschadens nicht nachweisen können und daher eine Abgrenzung zwischen Vor- und Neuschaden nicht möglich ist. Es ist wichtig, sich nicht einfach abweisen zu lassen, da nicht alle Behauptungen des Versicherers der Wahrheit entsprechen!

3. Bedeutung

Die Problematik des Vorschadens ist nicht neu und wurde durch eine Entscheidung des Bundesgerichtshofs (BGH) vom 19. Oktober 2019 – VI ZR 377/18 – in den Fokus gerückt. Die Haftpflichtversicherungen reagieren unterschiedlich auf Vorschäden, abhängig von verschiedenen Fallgruppen, die unterschiedlich hohe Hürden bei der Durchsetzung des Unfallschadens mit sich bringen.

4. Anforderungen an den Geschädigten

Danach haben die Oberlandesgerichte (OLG) ihre Rechtsprechung angepasst und verschiedene Fallgruppen identifiziert, die unterschiedliche Herausforderungen bei der Durchsetzung von Unfallschäden mit sich bringen:

a) Unreparierter Vorschaden außerhalb des Neuschadensbereichs:

Der „Altschaden“ ist unproblematisch und muss nur für die Bewertung von Wiederbeschaffungswert und Restwert berücksichtigt werden, was für die Bestimmung eines Reparaturschadens oder Totalschadens relevant ist.

b) Unreparierter Vorschaden im Bereich des Neuschadens:

Wenn sich alte und neue Schäden überlagern, wird es kompliziert. Der Geschädigte muss nachweisen, dass durch den neuen Schaden eine weitere Beschädigung eingetreten ist. Ein vorhandenes Gutachten zum Vorschaden erleichtert die Abgrenzung. Andernfalls muss der Geschädigte möglichst genau zum Vorschaden vortragen, da sonst die Abgrenzbarkeit nicht gegeben ist und der neue Schaden nicht erstattet wird.

Achtung: Der BGH (BGH DAR 90, 224 = zfs 90, 258) gestattet bei Unsicherheit über die Abgrenzung einen Abschlag, der vom Gericht geschätzt werden kann.

c) Angeblich reparierter Vorschaden außerhalb des Neuschadensbereichs:

Diese Fallgruppe ist ähnlich wie a) nur relevant, wenn der Wiederbeschaffungsaufwand beeinflusst wird. Es genügt, wenn der Geschädigte Angaben zur Entstehung macht und behauptet, dass eine sach- und fachgerechte Reparatur erfolgt ist. Überzogene Anforderungen an die Darlegungs- und Beweislast sind nach Ansicht des OLG Hamm in diesem Fall nicht gerechtfertigt.

d) Angeblich reparierter Vorschaden im Bereich des Neuschadens:

Hier liegt der größte Schwierigkeitsgrad vor, da ein Überlagerungsfall vorliegt. Es muss klar sein, wie das Fahrzeug zuvor beschädigt war und wie die Reparatur durchgeführt wurde, damit ein Sachverständiger den neuen Schaden feststellen kann. Die Gerichte verlangen genaue Angaben darüber, wer was und wie instandgesetzt hat, da ansonsten kein Ersatzanspruch besteht.

Achtung: Die Entscheidung des BGH kann dem Geschädigten helfen, wenn der Schaden beim Vorbesitzer entstanden ist und dieser keine genauen Angaben zur Reparatur machen kann.

 

5. Weitere Rechtsprechung:

Kein Schadensersatz bei massivem Vorschaden des Unfallfahrzeugs – OLG Hamm, 08.04.2016 – Az. I-9 U 79/15

Wenn ein Fahrzeughalter nach einem Verkehrsunfall einen Reparaturschaden geltend macht und festgestellt wird, dass das Fahrzeug bereits einen massiven Vorschaden erlitten hat, muss er der Haftpflichtversicherung des Unfallverursachers nachvollziehbar darlegen, dass der Vorschaden fachgerecht repariert wurde. Das Oberlandesgericht Hamm fordert hierzu eine detaillierte Darlegung der Reparaturart, -qualität und des -wegs, einschließlich der verwendeten Teile und der Qualifikation des Reparateurs. Kann der Geschädigte diesen Nachweis nicht ausreichend erbringen, hat er keinen Anspruch auf Schadensersatz.

Kein doppelter Ersatz für Hagelschaden – AG München, 14.04.2011 – Az. 271 C 10327/10

Wenn ein Fahrzeughalter nach einem Hagelschaden keinen Reparaturaufwand betreibt und der Schaden später erneut auftritt, kann er nur den Differenzbetrag zwischen den Schadenssummen geltend machen, sofern eine eindeutige Abgrenzung zwischen den Schäden möglich ist. Kann diese Abgrenzung nicht eindeutig vorgenommen werden, hat der Geschädigte keinen Anspruch auf weiteren Ersatz.

Zwei Schäden am selben Karosserieteil – BGH, 12.03.2009 – Az. VII ZR 88/08

Ein Fahrzeugbesitzer kann auch dann Schadensersatz für einen Schaden am selben Karosserieteil verlangen, wenn dieser durch einen späteren Unfall verursacht wurde und die Reparatur des zweiten Schadens zwangsläufig zur Beseitigung des ersten Schadens führte. Sofern der ursprüngliche Schaden durch ein Gutachten oder einen Kostenvoranschlag nachgewiesen werden kann, bleibt der Anspruch gegenüber dem Erstschädiger bestehen.

Wenn Sie Zweifel bezüglich eines Vorschadens haben, sollten Sie rechtliche Beratung in Anspruch nehmen, um festzustellen, ob Sie Ihre Ansprüche geltend machen können. Es ist wichtig, dass alle Vorschäden offengelegt werden, um eine klare Abgrenzung der aktuellen Schäden zu ermöglichen.

Beweislast bei mehrmals vorbeschädigtem Unfallfahrzeug – KG Berlin, 11.10.2007 – Az. 12 U 46/07

Hat ein Fahrzeug, für das der Halter nach einem Unfall Schadensersatz fordert, bereits mehrere Unfälle erlitten, muss nicht der Unfallverursacher oder seine Versicherung beweisen, dass der geltend gemachte Schaden nicht durch den aktuellen Unfall verursacht wurde. Es obliegt vielmehr dem Anspruchsteller, die Verbindung zwischen dem neuen Unfall und dem entstandenen Schaden nachzuweisen und auszuschließen, dass ähnliche Schäden bereits zuvor vorhanden waren.

 

Beitrag von: Rechtsanwalt Marioush

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